
Wir schreiben Sommer 1940 und halb Europa ist durch Nazi-Deutschland besetzt. Dänemark und Norwegen wurden in der Operation Weserübung durch die deutsche Kriegsmarine besetzt. Grossbritannien hat seine Expeditionsstreitkräfte bei Dünkirchen fluchtartig evakuiert und fürchtet eine Invasion der Deutschen über den Ärmelkanal. So beginnt mit der Luftschlacht um England ein Kampf ums britische Überleben. Doch es ist nicht nur die Royal Air Force und die Royal Navy, welchen den Deutschen entgegenhalten. Es sind in allen besetzten Gebieten Widerstandskämpfer und Widerstandszellen aktiv geworden. Diese vermögen nicht den deutschen Besatzern in offenem Kampf entgegenzutreten, schwächen aber in einem Nervenkrieg die Besatzungsmacht wo es nur geht. Im Wissen, dass kein zweites britisches Expeditionsheer aufgestellt werden kann, um Europa zu befreien, fokussiert sich Grossbritannien auch auf kladestine Operationen. Es ist insbesondere die britische Special Operations Executive (SOE), im Juli 1940 gegründet, die den Kampf der Widerstandszellen im besetzten Europa organisiert und mit Waffen und Gerät versorgt. Erst mit dem Kriegseintritt der USA nach dem Überfall auf Pearl Harbor und der Mobilisierung der Commonwealth-Staaten wurde eine Invasion zur Befreiung wieder denkbar.
SOE – Station IX
Die SOE war notwendig, um den deutschen Invasoren und deren Kollaborateuren Widerstand zu leisten und sie zu schwächen wo es nur möglich war. SOE organisierte sich in mehreren Abteilungen – Stations genannt. Für die Entwicklung von Waffen war die Station IX verantwortlich. Station IX wurde in einem Herrenhaus nahe Welwyn, ungefähr eine Fahrstunde nördlich von London untergebracht.
Station IX beschäftigte sich nun mit der Erforschung und Entwicklung von Waffen und Ausrüstungen, die an die Widerstandsbewegungen verteilt werden sollen. Kleine Baracken und Scheunen wuchsen auf dem gesamten Anwesen und übernahmen die Funktion von Labors und Werkstätten. Die Station IX wurde schnell zu einem Schlüsselfaktor bei der Unterstützung der Widerstandsbewegungen und Agenten hinter den feindlichen Linien im besetzten Europa. Eines von vielen erfolgreichen SOE-Projekten, die an der Station IX entwickelt wurden, war die Welrod-Pistole. Die schallgedämpfte Welrod-Pistole ist eine Waffe mit nur einem Zweck: Attentate zur Eliminierung von High-Value-Targets. Für Widerstandskämpfer von unschätzbarem Wert. Die Welrod wurde so genannt, indem die ersten drei Buchstaben der Stadt Welwyn – Wel – mit dem englischen Wort “rod” kombiniert wurden. Die Welrod wurde in zwei Grundversionen hergestellt: der Mk II, die eine Patrone 7.65mm Browning abfeuert und der Mk I, die für 9mm Parabellum eingerichtet ist.
Station IX entwickelte allerlei, teils kuriose, Dinge um hinter feindlichen Linien aktiv zu werden. So wurde etwa auch das Welbike oder der Welman entwickelt. Das Welbike ist ein Kleinmotorrad, dass zusammen mit einem Agenten mit dem Fallschirm abgeworfen konnte, der Welman ein Kleinst-U-Boot für eine Person (Michel, 2009). Selbst Mucana, ein Juckpulver, wurde bei der Station IX entwickelt, um feindliche Uniformen untragbar zu machen. Laut Anders Thygesen, einem Experten bei der Erforschung des dänischen Widerstandes gegen Nazi-Deutschland, gibt es in Dänemark belegte Fälle, dass das Mucana-Juckpulver eingesetzt worden war (Thygesen, 2017).
Entwicklungsgeschichte
Die ursprüngliche Geschichte der Entwicklung der Welrod ist schwierig zurückzuverfolgen. Die meisten Informationen über die Wurzeln der Entwicklung sind verschwunden oder wurden vernichtet. Bis heute wurde der Hersteller der Welrod nicht offiziell bestätigt. Erst in den letzten Jahren kamen Herstellungszeichnungen ans Licht, welche den Firmenstempel von BSA, der Birmingham Small Arms Company, trugen und so BSA als Hauptlieferant der Welrod bestätigten. Weiter finden sich Hinweise in Donowan Wards Buch “The Other Battle”, welches die Geschichte von BSA wiedergibt. Dort steht – ins Deutsche übersetzt: “Eine der tödlichsten Waffen, die von Mitgliedern der französischen Widerstandsbewegung gegen die deutschen Besatzungstruppen in den Monaten vor dem D-Day eingesetzt wurde, wurde in Small Heath hergestellt. Dies war die Welrod Silent Pistol. Obwohl die Franzosen ab 1942 regelmäßig mit normalen militärischen Waffen versorgt wurden und die Munition nachts per Fallschirm von R.A.F.-Flugzeugen abgeworfen wurde, waren diese nur für die reguläre Kriegsführung von Nutzen. Es bestand offensichtlicher Bedarf an einer Waffe, mit der der Nervenkrieg in die von deutschen Offizieren und Soldaten besuchten, Tanzlokale und Cafés getragen werden konnte; und es musste eine Waffe sein, die dem Benutzer nach einer “Hinrichtung” die Möglichkeit zur Flucht geben sollte. Ende 1943 beauftragte das Kriegsministerium die BSA mit der Herstellung einer Pistole, die speziell von einem Armeemajor entworfen worden war. In Sachen Geräuschlosigkeit war es die perfekteste Waffe ihrer Art, die je entwickelt wurde, denn wenn die Mündung in einen Sandsack gedrückt und ein Schuss abgegeben wurde, gab es nur das leiseste Geräusch, das beim normalen Klappern und Klirren eines Cafés unbemerkt blieb. Damit sie schnell und in großem Massstab hergestellt werden kann, haben die Experten des Unternehmens das Design vereinfacht. Innerhalb von sechs Wochen war die erste Lieferung auf dem Weg nach Frankreich und mit Ihr wurde eine neue Art Gegenterror gegen die Männer eingeleitet, die Geiseln erschossen und ganze Dörfer ausgelöscht hatten, so wie sie zuvor Lidice in der Tschechoslowakei vernichtet hatten (Ward, 1946).”
Die zahlenmässig grösste Verbreitung im Zweiten Weltkrieg war innerhalb des französischen und dänischen Widerstandes. Dennoch blieb – oder, das wissen wir nicht, bleibt – die Welrod-Pistole lange im Dienst. Laut Andres Thygesen gäbe es Berichte über die Verwendung der Welrod-Pistole während des Falkland-Krieges, den Konflikten in Nordirland und sogar bis in Operation Desert Storm hinein durch die britischen Special Forces. Ebenfalls sei die Verwendung der Welrod der amerikanischen SOG im Vietnam-Konflikt belegt (Thygesen, 2017). In versteckten Waffenlagern der Stay-Behind-Organisationen des Kalten Krieges sollen ebenfalls Welrod-Pistolen in Deutschland gefunden worden sein (Stoll, 2015).
Welrod Mk IIA
Die Pistole ohne Magazin gleicht einer Velopumpe. Die Welrod besteht äusserlich lediglich aus einem zweiteiligem Rohr. Dieses Rohr enthält den Verschluss, den Lauf und den Schalldämpfer. Die ganze Pistole hat eine Länge von 310mm. An diesem Rohr befestigt, ist ein Magazinschacht von ungefähr 25mm Breite. In diesen Magazinschacht kann ein modifiziertes Magazin vom Colt 1903 Pocket in 7.65mm Browning aufgenommen werden. Die Modifikation des Magazins besteht aus einem angelöteten Schnäpper, der das Magazin im Schacht hält. Weiter ist das Magazin mit einer Gummihülle umfasst, welches als Griff dient. Ist das Magazin entfernt, so hat die Welrod keinen Griff mehr und kann sehr unauffällig verstaut werden. Der Magazinschnäpper ist reichlich filigran ausgeführt, so kann es vorkommen, dass der Schütze beim Schiessen das Magazin und damit den Griff versehentlich von der Pistole entfernt.

Die Visierung der Welrod ist eine klassische Kimme-/Kornvisierung, bei der fluoreszierende Farbe das Zielen bei Dunkelheit ermöglichte.
Die Welrod verfügt über eine einfachste Griffstücksicherung. Wird die Welrod korrekt gehalten gibt der Hebel hinter dem Magazinschacht den Abzug frei. Der Abzug kann bestenfalls als ein Stück gebogener Draht beschrieben werden, liegt frei und hat kein Abzugsgehäuse.


Die Welrod Mk IIA ist phosphatiert und erscheint stahlgrau.
Funktionsweise
Die Welrod ist eine Einzelschusswaffe, die nicht selbstständig nachlädt. Innerhalb des Aussenrohrs ist ein Zylinderverschluss ähnlich einer Repetierbüchse eingebracht. Die Verschlussbewegung muss von Hand mithilfe des gerändelten Knaufes am hinteren Ende betätigt werden. Der Knauf wird 90° gegen den Uhrzeiger verdreht und damit der Verschluss entriegelt. Nun wird der Knauf von Hand nach hinten gezogen, wobei eine verschossene Patrone ausgezogen und nach oben ausgeworfen wird. Ist diese Bewegung zu zögerlich, bleibt die Patrone im Auswurffenster liegen. Beim Zurückschieben des Verschlusses in die Ausgangsstellung wird eine Patrone zugeführt. Mit erneuter Drehung um 90° im Uhrzeigersinn verriegeln die zwei Verschlusswarzen den Lauf, der Zündstift wird vorgespannt. Wird jetzt der Abzug betätigt, wird der Zündstift freigegeben, schnellt nach Vorne und leitet die Zündung der Patrone ein.
Zur Zerlegung werden das Magazin und damit der Griff entfernt. Linksseitig befindet sich eine Senkkopfschraube mit grossem Schlitz, so dass diese mit einer Münze herausgedreht werden kann. Ist diese Schraube entfernt, kann der Verschluss entnommen werden. An der Mündungsseite befindet sich eine schmale gerändelte Abdeckplatte. Wird diese Abdeckplatte entfernt, können die Stauscheiben des Schalldämpfers herausgenommen werden. Der Zusammenbau erfolgt in umgekehrter Reihenfolge.
Die Abdeckplatte an der Mündung versetzt die Mündung um ungefähr 3.5mm zurück. Denkt man sich den Zweck, für was die Welrod konstruiert wurde, erschliesst sich der Sinn dieser abgesetzten Mündung. In der englischen Bedienungsanleitung vom Dezember 1943 ist das wie folgt beschrieben: “The nose cap of the weapon is hollowed to enable an operator to place it tightly against the body of a person and fire. The noise is then still further reduced. This will allow the shooting of a man in a crowd with the minimum chance of detection. For this purpose, there is no question of any special training (Thygesen, 2017).”
Der Schalldämpfer
Die Welrod unterscheidet sich von anderen Pistolen, da sie eigentlich um einen Schalldämpfer herum konstruiert wurde, anstatt einer bestehenden Pistole einen Schalldämpfer aufzusetzen. So ist der Schalldämpfer der wichtigste Bestandteil diese Pistole. Das Aussenrohr der Pistole misst 298mm in der Länge. Darin enthalten sind Verschluss, Patronenlager, Lauf und Schalldämpfer. Der Lauf misst ca. 95mm Länge und endet in einer ersten Stauscheibe. Der Lauf ist über seine ganze Länge mit kleinen Bohrungen versehen, die den Gasdruck in eine erste Expansionskammer geben. Kaliber 7.65mm Browning hat per se eine Mündungsgeschwindigkeit im Unterschallbereich, weshalb die Bohrungen im Lauf nicht zur Geschwindigkeitsreduzierung des Projektils dienen, sondern zur Geschwindigkeitsreduzierung der austretenden Gase wirken. Nach dem Laufende passiert das Projektil 18 metallene Stauscheiben im Abstand von ca. 5mm, sowie 3 Abstreifringe aus Gummi oder Leinen.
LiteraturverzeichnisMichel, Wolfgang. 2009. Britische Schalldämpferwaffen 1939–1945: Entwicklung, Technik, Wirkung. s.l. : Books on Demand GmbH, 2009. ISBN 978-3837021493. Stoll, Ulrich. 2015. Die Schattenkrieger der NATO. ZDFinfo, 2015. Thygesen, Anders. 2017. Timelapse – The Welrod Pistol. Mk.II&IIA .32ACP. [Online] 01 2017. [Zitat vom: 19. 05 2019.] http://www.timelapse.dk/Mk.II_IIa.php. —. 2017. Timelapse – The Welrod Pistol. S.O.E. [Online] 01 2017. [Zitat vom: 19. 05 2019.] http://www.timelapse.dk/soe.php. —. 2017. Timelapse – The Welrod Pistol. Misinformation. [Online] 01 2017. [Zitat vom: 20. 05 2019.] http://www.timelapse.dk/misinformation.php. Ward, Donovan. 1946. The Other Battle. 1946. ISBN 978-9333393317. |